Bei Andernach
Der Rhein war das Meer; beinahe jedenfalls. Am Rhein sein hieß: endlose Promenaden entlanghüpfen, Schiffe tuten hören, Eis bekommen. Möwen gab es da, und wenn man sehr hoch werfen konnte, dann bildeten sich kreischende Wolken weißer Vögel über dem Geländer. Und bloß nicht reinfallen – da kann dich keiner mehr retten, sagten die Eltern. Man glaubte ihnen sofort.
Später war der Rhein eher Hintergrund, für Treffen mit Freunden, für langwierige Spaziergänge, für schwierige Gespräche. Irgendwie landete man immer am Ufer, Seite an Seite aufs Wasser schauend, und tauschte Geheimnisse, vergoß heiße Tränen und hatte so viele Träume – alles nahm er, schulterte es und trug es fort, mit zum Meer, diesmal zum echten.
Noch später war der Rhein, nun ja, eben da. Wenn man über die Brücke fuhr, wußte man, bald wäre man daheim. Manchmal glänzte die Sonne im Auf- oder Untergehen auf dem Wasser; das war wunderschön. Volksfeste fanden am Ufer statt, und die Zeitungen schrieben vom Rhein in Flammen.
Und dann? Dann war der Rhein weit fort. Aber jeder Fluß mußte dem Vergleich standhalten. Und war dann mal wieder eine Uferpromenade zur Hand, dann war es schwer, die Augen von dem wirbelnden Grau und Grün zu lösen; ach, der Rhein … Erst viel später begriff ich, daß das, was mein Herz ergriff, wenn ich meinen Fluß wiedersah, eine Art von Heimweh war.
Vielleicht bin ich deswegen so gern wiedergekommen. Wenn ich heute durch die Stadt zum Ufer gehe, grüße ich ihn schon von weitem wie einen alten Freund.
November 2024 | ||||||
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