Wellen & Zinnen
Dienstag, 2. September 2014

2031

Im März waren M. und ich auf der Burg Sooneck. Wir waren von Bingerbrück zu Fuß unterwegs und wollten einen Kaffee trinken, aber da wären wir an dem Tag die ersten gewesen; das Café hatte geschlossen. So kletterten wir auf der Burg herum, schauten vom Söller, bewunderten den rötlichen Fels mit den Miniaturgärtchen und stellten uns schließlich an eine Brüstung, die auf den Steinbruch schaut. Da standen wir, und eine Woge von Lärm schwappte aus der Tiefe hoch und legte sich über Fluß, Burg, Aussicht, alles: Motorengeräusch, das Poltern von Stein und immer wieder das Biep-biep-biep von Fahrzeugen im Rückwärtsgang.

Dort unten ist ein riesengroßer Brocken aus der Landschaft gebissen. Ein ganzer bewaldeter Hügel muß da mal gestanden haben; jetzt ist es eine Kraterlandschaft mit Rampen für den Abtransport des Gesteins, für sich betrachtet schon wieder von einer eigenen Schönheit, aber von hier oben und in der Nachbarschaft des Burggemäuers einfach monströs. Und: laut. M. und ich guckten so lange hinunter, wie wir es aushielten.

Einer der Männer, die auf der Burg arbeiten, trat zu uns. Was für ein Krach, sagten wir. Ja, meinte er, das hört erst 2030 auf. 2031 müßten wir kommen. Da wäre der Abbau stillgelegt, und das Steinbruchgelände würde renaturiert. M. und ich schauten uns an. Schön ist das sowieso schon hier, aber ohne den Lärm wäre es ein Märchenort. Und wenn es dann noch Kaffee gibt …

Nun habe ich also eine Verabredung. Zum Kaffee mit M. Auf der Burg Sooneck im Jahr 2031. Wir werden ihn draußen genießen.

Samstag, 30. August 2014

Aussicht in Fahrtrichtung rechts

Im Zug von Bingen Richtung Koblenz sollte man sich strategisch setzen — Aussicht in Fahrtrichtung rechts! — und ein Auge auf die Mitreisenden haben.

Wenn die Hügel des Rheingaus in das schroffe Felsental des Mittelrheins münden, wird es oft sehr ruhig im Abteil. Gespräche enden und werden durch Zeigen und Winken ersetzt: schau mal, da! Hast du das gesehen? Spätestens bei Kaub sind Fotoapparate und Handys im Anschlag.

Da gibt es die Informierten, die lesen die Strecke im Reiseführer mit, auf Spanisch, Chinesisch, Englisch. Einmal ließ sich eine blinde alte Dame von ihrer jungen Begleiterin die Namen der Orte sagen; sie wußte dann, welche Burg gleich kommen würde. Ich fragte sie später — sie war Lehrerin gewesen und hatte das Rheintal mit Schulklassen besucht.

Für manche ist die Strecke eine Überraschung. Ich saß einmal neben einem Franzosen, der schlief schon seit Mainz. Auf der Höhe von Oberwesel wachte er auf, schaute aus dem Fenster, rieb sich die Augen und fragte mich: Excuse me, but what is the name of this river? Der Rhein, an dem er eingeschlafen war, paßte nicht zu dem, der sich hier durch die Felsen zwängte.

Kleine Kinder sind am besten. Die sitzen mit platter Nase an der Scheibe und betrachten Schiffe und Hügel, Felsen und Burgen, und zu jeder Burg wollen sie die Geschichte wissen und zu jedem Schiff, was es geladen hat. Und sie sind es auch, von denen ich manchmal höre: hier müssen wir aussteigen!

Und da haben sie sehr recht.

Donnerstag, 21. August 2014

Kindheit am Fluß

Der Rhein war das Meer; beinahe jedenfalls. Am Rhein sein hieß: endlose Promenaden entlanghüpfen, Schiffe tuten hören, Eis bekommen. Möwen gab es da, und wenn man sehr hoch werfen konnte, dann bildeten sich kreischende Wolken weißer Vögel über dem Geländer. Und bloß nicht reinfallen – da kann dich keiner mehr retten, sagten die Eltern. Man glaubte ihnen sofort.

Später war der Rhein eher Hintergrund, für Treffen mit Freunden, für langwierige Spaziergänge, für schwierige Gespräche. Irgendwie landete man immer am Ufer, Seite an Seite aufs Wasser schauend, und tauschte Geheimnisse, vergoß heiße Tränen und hatte so viele Träume – alles nahm er, schulterte es und trug es fort, mit zum Meer, diesmal zum echten.

Noch später war der Rhein, nun ja, eben da. Wenn man über die Brücke fuhr, wußte man, bald wäre man daheim. Manchmal glänzte die Sonne im Auf- oder Untergehen auf dem Wasser; das war wunderschön. Volksfeste fanden am Ufer statt, und die Zeitungen schrieben vom Rhein in Flammen.

Und dann? Dann war der Rhein weit fort. Aber jeder Fluß mußte dem Vergleich standhalten. Und war dann mal wieder eine Uferpromenade zur Hand, dann war es schwer, die Augen von dem wirbelnden Grau und Grün zu lösen; ach, der Rhein … Erst viel später begriff ich, daß das, was mein Herz ergriff, wenn ich meinen Fluß wiedersah, eine Art von Heimweh war.

Vielleicht bin ich deswegen so gern wiedergekommen. Wenn ich heute durch die Stadt zum Ufer gehe, grüße ich ihn schon von weitem wie einen alten Freund.

Blick über den Inselrhein.
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