Wellen & Zinnen

Am Bahnhof

Bahnhof Bacharach. Ich bin von einer längeren Wanderung aus den Hügeln heruntergekommen. Ein Zug ist mir vor der Nase davongefahren, der Fahrkartenautomat wollte meinen Geldschein nicht; also beziehe ich eine Bank und hole mein Buch aus dem Rucksack. Zum Lesen komme ich aber nicht; eine Bank weiter sitzt ein älteres Paar, Briten, die sich laut und mit finsteren Gesichtern unterhalten. Das Geschäft hätte nun auch geschlossen, sagt sie. Das sei die Rezession, meint er; ihr Pensionswirt habe auch schon daran gedacht, aufzuhören … Ich gehe zu den beiden hin und frage sie auf Englisch, ob sie mir Geld wechseln können, und ob sie die Gegend kennen?

Bacharach. (Vor dem Umbau.

Seit seiner Jugend komme er her, immer in dieselbe Pension nach Linz, erklärt der Mann; seit etwa 2002 könne er beobachten, wie die Bahnhöfe verfielen; Läden würden geschlossen, Häuser an der Hauptstraße wären unbewohnt oder sähen doch so aus. In einem Wort: Verwahrlosung. – Woran dieser Niedergang liege? Am Ferntourismus, das zum einen. Eine Flugreise in den sonnigen Süden sei von London aus weitaus günstiger zu haben als die zwei Wochen am Rhein. Und mit dem Euro sei alles so teuer geworden. – Aber er komme immer noch?, fragte ich. Ja – seine Frau und er hätten hier ihre Flitterwochen verlebt. Und nach all den Jahren …

Ich bin berührt. Die beiden hängen mit grimmiger Liebe an ihrem vergangenen Urlaubsparadies. Jahr für Jahr wird es ungastlicher, und doch kehren sie immer wieder. Ich hoffe sehr, daß sie irgendwann wieder positive Entwicklungen vermerken können.

Aussicht in Fahrtrichtung rechts

Im Zug von Bingen Richtung Koblenz sollte man sich strategisch setzen — Aussicht in Fahrtrichtung rechts! — und ein Auge auf die Mitreisenden haben.

Wenn die Hügel des Rheingaus in das schroffe Felsental des Mittelrheins münden, wird es oft sehr ruhig im Abteil. Gespräche enden und werden durch Zeigen und Winken ersetzt: schau mal, da! Hast du das gesehen? Spätestens bei Kaub sind Fotoapparate und Handys im Anschlag.

Da gibt es die Informierten, die lesen die Strecke im Reiseführer mit, auf Spanisch, Chinesisch, Englisch. Einmal ließ sich eine blinde alte Dame von ihrer jungen Begleiterin die Namen der Orte sagen; sie wußte dann, welche Burg gleich kommen würde. Ich fragte sie später — sie war Lehrerin gewesen und hatte das Rheintal mit Schulklassen besucht.

Für manche ist die Strecke eine Überraschung. Ich saß einmal neben einem Franzosen, der schlief schon seit Mainz. Auf der Höhe von Oberwesel wachte er auf, schaute aus dem Fenster, rieb sich die Augen und fragte mich: Excuse me, but what is the name of this river? Der Rhein, an dem er eingeschlafen war, paßte nicht zu dem, der sich hier durch die Felsen zwängte.

Kleine Kinder sind am besten. Die sitzen mit platter Nase an der Scheibe und betrachten Schiffe und Hügel, Felsen und Burgen, und zu jeder Burg wollen sie die Geschichte wissen und zu jedem Schiff, was es geladen hat. Und sie sind es auch, von denen ich manchmal höre: hier müssen wir aussteigen!

Und da haben sie sehr recht.

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